Content Notes
  • Tod und Sterblichkeit: Mehrere zentrale Figuren sterben, darunter die Töchter des Königs und der König selbst.
  • Gewalt und Mord: Eine Prinzessin wird erschlagen, eine andere begeht Suizid, und der König verursacht durch sein Handeln Chaos und Zerstörung.
  • Manipulation und Machtmissbrauch: Der König geht einen Pakt ein, der ihn vor dem Tod schützt, aber letztlich sein Reich zerstört.
  • Finanzieller Ruin und soziale Unruhen: Das Königreich wird durch wirtschaftliche Misswirtschaft und Schulden zugrunde gerichtet.
  • Philosophische und existenzielle Themen: Die Geschichte hinterfragt Perfektion, das Schicksal und den Preis des ewigen Lebens.
  • Übernatürliche Elemente: Ein Phönix und Gevatter Tod spielen eine entscheidende Rolle, ebenso wie die Fähigkeit der Prinzessin, eine neue Welt zu erschaffen.

Es lebte einmal ein König, der herrschte über ein großes und prächtiges Königreich, irgendwo in einem Land, das schon seit Urzeiten vergessen ist. Der König selbst war nicht bloß irgendein Herrscher – er war ein geborener Herrscher mit so perfektem Verhandlungsgeschick, dass man ihm nachsagte, dass selbst Gevatter Tod ihn nicht holen kommen würde, aus Furcht, er könnte ihm auch noch die Unterwelt streitig machen. Sein Herrschaftsgebiet wuchs stetig und unter seinen Untertanen war er ebenso beliebt wie seine vier Töchter.
Doch war der König bereits alt und als sein Bart langsam zu ergrauen begann, ging ihm öfter und immer öfter die Frage durch den Kopf, welche seiner Töchter denn seinen Thron übernehmen sollte, wenn er einst auf seinem Sterbebett läge.
Die älteste von ihnen liebte es zu malen. Es waren die schönsten Bilder, die man im ganzen Reich bestaunen konnte, und manchmal bemalte sie selbst die Zimmer des Palasts so fantastisch, dass man glaubte, in eine andere Welt einzutreten. Nur wenn man einen winzigen Fehler in ihren Stücken fand – ein falsch gesetzter Strich, ein etwas abweichender Farbton –, bröckelte die Illusion. Das machte den König immer furchtbar wütend, denn niemals war sie perfekt.
Die zweite Tochter liebte es zu musizieren. Wann immer sie ein Lied auf ihrer Harfe spielte, vergaßen die Menschen um sie her alles und lauschten wie gebannt den Klängen ihrer Melodie. Manch einer soll darüber hinaus sogar das Atmen vergessen haben und selbst die Vögel schwiegen vor Ehrfurcht. Nur wenn man einen winzigen Fehler in ihren Stücken fand – eine zu schwach gezupfte Seite, ein etwas zu langes Zögern –, bröckelte die Illusion. Das machte den König immer furchtbar wütend, denn niemals war sie perfekt. 
Die dritte Tochter liebte es zu tanzen. Wann immer sie ihren Körper zu einer Melodie bewegte, blieben alle Blicke wie gebannt an ihr hängen und niemand konnte mehr widerstehen, dass selbst die Menge niemals still sitzen blieb. Am Ende drehten sich alle Leiber wie betört umeinander; selbst die von Leuten, die eigentlich gar nicht tanzen konnten. Nur wenn man einen winzigen Fehler in ihren Bewegungen fand – ein etwas zu weit abgespreizter Arm, ein minimales Straucheln –, bröckelte die Illusion. Das machte den König immer furchtbar wütend, denn niemals war sie perfekt.
Die vierte Tochter, die jüngste von allen, war gleichzeitig die ruhigste von ihnen. Sie liebte es, Gedichte zu schreiben und damit Menschen zu berühren. Sie arbeitete Tag und Nacht und schloss sich oft wochenlang in ihrer eigenen kleinen Bibliothek ein. Wann immer jemand eines ihrer Werke las, erstrahlte die ganze Welt, doch bloß für diese eine Person. Nur wenn man einen winzigen Fehler in ihren Stücken fand – ein falsch gesetztes Wort, eine verschwiegene Zeile –, bröckelte die Illusion. Das machte den König immer furchtbar wütend, denn niemals war sie perfekt.
Auf ihre Fehler angesprochen, gaben alle seine Töchter stets dieselbe Antwort: »Wenn ich perfekt sein muss, um zu regieren, so will ich deine Krone nicht.«
Das wollte der König nicht hören und je älter er wurde, desto mehr ärgerte er sich über seine Töchter. Tintenfässer schleuderte er durch sein Arbeitszimmer oder zerbrach wutentbrannt Vasen auf dem marmornen Boden. Wenn keine von ihnen Interesse an der Herrschaft hatte, wie sollte er dann eine würdige Thronfolgerin finden? Er wusste um sein Alter. Er wusste, dass die Krähen ihn bereits beobachteten und bloß darauf warteten, dass er starb; nur um sich dann an seinen Eingeweiden zu laben und anschließend sein Reich zu zerreißen, welches er selbst so mühsam vereint hatte.
Eines Tages – der König hatte gerade wieder einen Tobsuchtsanfall überwunden – erschien auf der Armlehne seines Throns ein großer Vogel mit orangenem Gefieder, aus dem kleine Flammen züngelten. Eine Weile lang betrachtete der König das Tier neugierig, das augenscheinlich keinerlei Angst vor ihm empfand, geschweige denn Demut. Gerade wollte er den Vogel wegscheuchen, denn der Thron gehörte ihm allein, da öffnete dieser seinen breiten Schnabel und eine krächzende Stimme hallte durch den Raum.
»Hör mich an, König. Maaark. Siehe, ich bin ein Phönix und ich habe den Tod schon hundertfach gesehen. Glaub mir, er klopft schon an dein Tor und es ist nur noch eine Frage der Zeit, bis er dich finden wird. Und wenn er es tut, ist dein Königreich zum Untergang verdammt.«
Der König starrte den orangenen Vogel vor sich nur mit unverwandtem Blick an, denn er war der Herrscher und nichts vermochte ihn aus der Fassung zu bringen. »Bist du etwa nur hergekommen, um mir zu sagen, dass ich bald sterben werde? Dafür brauche ich keinen albernen Vogel, das weiß ich selbst.«
Der Phönix lachte aus seinem schwarzen Schnabel. »Maaark, Maaark. Diesmal kommt Gevatter Tod nicht nur wegen dir. Er tut dies auch für all die anderen, die durch deinen Frieden nie die Möglichkeit hatten, als Helden in der Schlacht zu sterben. Wenn die Menschen nicht mehr als Helden für das sterben dürfen, wofür sie leben, verlieren sie den Respekt vor dem Tod.«
Der König wurde zornig. »Komm endlich zur Sache, was willst du von mir?«
»Maaark. Mit deinem Tod wird auch dein ganzes Reich untergehen.«
Zwischen zusammengebissenen Zähnen presste der König hervor: »Du wiederholst dich. Meine Töchter sind zwar nicht perfekt, aber doch kann ich mir niemand besseres auf dem Thron vorstellen. Wenn dieses Reich tatsächlich untergehen sollte, habe ich immerhin alles getan, was in meiner Macht stand.«
»Du hast nicht alles getan, was in deiner Macht stand. Maaark.« Der Vogel blickte ihn an und es wirkte beinahe, als lächelte er. »Du könntest am Leben bleiben, bis eine deiner Töchter wahrhaftig perfekt ist. Denn erst dann wirst auch du mit ihr zufrieden sein.«
»Und wie soll ich so lange am Leben bleiben?«, spottete der König. »Lass mich raten: Du kannst den Tod noch eine Weile von mir abhalten, hab ich recht? Und dafür willst du bloß eine kleine Gegenleistung, was?«
Wieder lachte der Vogel auf der Thronlehne. »Maaark, Maaark. Natürlich will ich das, ich bin ein Phönix. Ich werde deinen Platz einnehmen, wann immer du es bist, der eigentlich sterben soll. Meine Forderung ist simpel: Für den ersten Tod den ich erlebe, wirst du mir eine goldene Münze aus deiner Schatzkammer geben. Für den zweiten Tod will ich zwei Münzen und für den dritten vier. Immer das Doppelte vom Vorherigen. Im Gegenzug kannst du selbst entscheiden, wann es mit dir zu Ende gehen soll. Du kannst selbst entscheiden, wann mein Preis den Wert deines Lebens übersteigt. Maaark
Der König überlegte lange, denn das Angebot des Phönix klang zu gut um wahr zu sein. Doch hatte er in seiner langen Herrschaft schon viel Erfahrung gesammelt und der Pakt war einfach und klar, ohne Fallen. Und wenn, so werde ich den Vogel einfach erschlagen, dachte der König bei sich und so war es schnell beschlossene Sache.
Der König wurde älter und ebenso wurden es seine vier Töchter. Eine jede von ihnen wurde besser in ihrer Kunst, doch noch ward keine von ihnen perfekt. Der König wurde gebrechlicher und eines Abends trat Gevatter Tod an sein Bett heran und nahm ihn stumm bei der Hand.
Aber der König zögerte – dann riss er grob seine Hand zurück. »Ich darf noch nicht sterben«, bestimmte er, »nimm doch den Phönix an meiner statt.«
Gevatter Tod runzelte die Stirn, doch bereits in der nächsten Sekunde ließ sich ein orangener Phönix auf seiner Schulter nieder. »Maaark«, sprach der Vogel und betrachtete den Gevatter wie einen alten Freund.
Mit einem traurigen Lächeln im Gesicht streckte der Tod seine schwarzen Finger nach dem orangenen Federkleid aus und strich zärtlich darüber. Mit einem Mal loderten Flammen aus des Phönix Gefieder und graue Asche rieselte zu Boden.
Am nächsten Tag saß der König grübelnd in seinen Gemächern. Mit niemandem hatte er über das Erlebte gesprochen, doch nagten jene Erinnerungen der letzten Nacht an ihm. Er war dem Tod gegenübergetreten und wieder zurückgekehrt. Im Gegenzug war bloß eine einzige Münze aus seinen Schatzkammern verschwunden und keiner konnte erklären, wie das möglich gewesen war.
Der König wurde älter und ebenso wurden es seine vier Töchter. Eine jede wurde besser in ihrer Kunst, doch noch immer ward keine von ihnen perfekt.
Irgendwann begann eine Pandemie im gesamten Königreich zu wüten. Anfangs glaubte er noch, sie würde ebenso schnell wieder verschwinden, wie sie gekommen war, doch sie tat es nicht. Das Volk hustete und keuchte und krepierte elendig. Und eines Abends stand Gevatter Tod an des Königs Bett und nahm ihn stumm bei der Hand.
Doch wieder zögerte der König. »Ich will noch nicht mit dir gehen«, sagte er, »nimm doch den Phönix an meiner statt.«
Gevatter Tod runzelte die Stirn, doch schon in der nächsten Sekunde ließ sich ein orangener Phönix auf seiner Schulter nieder. »Maaark
Mit einem traurigen Lächeln streckte der Tod seine pechschwarzen Finger nach dem orangenen Federkleid aus und strich sanft darüber. Und wieder ging der Phönix in Flammen auf. Am darauffolgenden Morgen waren bloß zwei Münzen auf unerklärliche Weise aus den königlichen Schatzkammern verschwunden.
Wenn er körperlich auch alterte, so war des Königs Lebensgeist doch neu geweckt. Er war wieder wie ein Jugendlicher, der alles erleben will und glaubt, nichts könne ihm gefährlich werden. Mit dem Wissen um seinen Pakt mit dem Phönix focht er eine Schlacht nach der anderen und in den folgenden Jahren vergrößerte sich sein Reich immens. Wann immer der Tod auf dem Schlachtfeld erschien, tat es auch der orangene Vogel und immer kehrte der König unversehrt wieder zurück in seinen Palast. Nichts schien ihm etwas anhaben zu können und selbst seine Untertanen nahmen dies als göttliches Zeichen.
Doch mit jeder erfolgreich gefochtenen Schlacht leerte sich seine Schatzkammer zusehends, auch wenn stetig mehr Gold aus all seinen neu eroberten Provinzen hinein floss. Aber noch waren seine vier Töchter nicht perfekt, obgleich sie sich stets verbesserten.
Bei einem besonders prächtigen Siegesfest, zu welchem selbst der Landadel von überallher geladen war, stand plötzlich Gevatter Tod neben seinem Sessel. Der König nickte ihm zu, wie einem alten Freund, doch wies ihm dann stillschweigend, sich wegzustehlen, war es doch ein offizielles Fest, bei welchem das Königshaus von allen Seiten umworben und beobachtet wurde.
Doch Gevatter Tod störte sich nicht daran. Er ließ seinen kalten Blick durch die Menge streifen, bis er sich schließlich an des Königs älteste Tochter heftete, die es so sehr liebte zu malen.
Dem König lief es heiß und kalt über den Rücken. Schnell sprang er auf, wobei sein Stuhl mit einem laut hallenden Knall umstürzte und rief aufgebracht: »Lass sie in Frieden und verschwinde!« Der gesamte Saal blickte sich nach dem König um, während dieser mit ungebührend schnellen Schritten auf den Tod zueilte. »Du darfst sie mir nicht nehmen.«
Doch der Gevatter streckte nur seine langen schwarzen Finger nach ihr aus und binnen einer Sekunde brach die Künstlerin tot zusammen. In dieser Nacht ward kein orangenes Federkleid gesehen.
Schon bald machten sich Gerüchte im ganzen Königreich breit, dass der König den Zusammenbruch seiner Tochter vorhergesehen hatte. Bei späteren Untersuchungen fand man ein halbes Bezain-Blatt, ein unglaublich starkes Gift, am Boden ihres Weinkelchs.
Der König machte sich schwere Vorwürfe und liebte seine drei verbleibenden Töchter umso inniger, doch waren sie nach wie vor unperfekt, wie fehlgeschliffene Diamanten. Mehr noch: Das so plötzliche Ableben ihrer ältesten Schwester schien neue Wunden in ihnen gerissen zu haben. Der König herrschte weiter und in zahllosen mit Wut im Herzen geschlagenen Schlachten weitete er sein Reich noch viel weiter aus.
Als er das nächste Mal heimkehrte, hatte Gevatter Tod bereits seine zweite Tochter, die Musikerin, auf die andere Seite geleitet. Sie hatte sich vom höchsten Turm des Palasts in den Tod gestürzt und niemand vermochte zu sagen, warum. Der König hatte sie nicht einmal wahrhaft gekannt, denn sonst hätte er die Antwort gewusst.
Seine dritte Tochter holte Gevatter während der nächsten Siegesfeier. Der Adelsspross einer gerade erst eroberten Provinz hatte sie nach ihrem Tanz umworben, doch konnte er ihre Zurückweisung nicht akzeptieren. Krank von der unerwiderten Liebe, erschlug er des nächtens die Tänzerin. Bereits am nächsten Morgen musste der junge Thronfolger und seine gesamte Familie dafür selbst mit dem Leben zahlen. Doch die Prinzessin brachte das nicht zurück. So blieb dem König bloß seine jüngste Tochter und die kannte die Welt lediglich aus ihren Büchern.
Natürlich war sie noch immer nicht perfekt, doch es hatte drei toter Prinzessinnen bedurft, bis sich ihr Vater damit abfand, dass keine seiner Töchter jemals die Perfektion erreichen würde, die er selbst immer angestrebt hatte. Ihm war auch klar, dass er keine Wahl mehr hatte; denn die jüngste seiner Töchter war nunmehr die letzte Thronerbin.
Und er wusste, dass es schnell gehen musste. Die königlichen Schatzkammern waren bereits derart leer, dass sie auf keinen Fall auch nur für eine weitere Bezahlung des Phönix ausreichen würden, denn seine Tode waren immer teurer geworden – und dann doppelt so teuer. Außerdem alterte sein Körper stetig schneller, hatte er doch beinahe die zweifache Lebensspanne erreicht, die einem Menschen eigentlich zustand. Trotz dessen er lebte und das Blut noch immer durch seine Adern strömte, begann sein Leib langsam damit, sich abzubauen und von innen heraus zu verwesen. Waren zu Beginn ein paar schmerzende Knochen noch seine einzigen Leiden gewesen, so fiel ihm das Haar nun büschelweise aus der Haut, seine Finger konnte er kaum krümmen; er wagte in keinen Spiegel mehr zu blicken und seine Schwerthand begann sich langsam schwarz zu färben.

Des nächtens schreckte die jüngste Tochter aus ihrem Schlaf auf. Seit den Toden ihrer Schwestern hatte sie kaum mehr geschlafen und selbst das Lesen fiel ihren müden Augen zusehends schwerer. Ihr Vater war gealtert, und sie mit ihm. Wie sie so aufrecht in ihrem Himmelbett saß, erkannte sie den orangenen Schein von Flammen durch die Dunkelheit. Im ersten Moment glaubte sie, eine Kerze habe eines der unzähligen papierenen Bücher in Brand gesetzt und wollte gerade um Hilfe rufen, da sah sie, dass die kleinen Feuerzungen vom Gefieder eines Vogels ausgingen. Das Tier saß auf der Bettkante und betrachtete sie, während sich die Flammen seines eigenen Federkleids in seinen Augen spiegelten.
Aufgeschreckt setzte sich die Frau aufrechter in ihr Bett, doch der Phönix bewegte nur langsam den Schnabel. »Fürchte dich nicht. Siehe, ich bin hier um dir zu helfen. Dein Vater wird dich niemals an die Macht lassen, solange deine Werke unperfekt sind. Maaark
Die Frau zog ihre Beine an sich und umschlang sie mit den Armen, wobei sie den Phönix keine Sekunde aus den Augen ließ. »Er wird mich niemals an die Macht lassen, weil ich niemals perfekt sein Kann. Er versteht nicht, dass die eigentliche Kunst noch nie in der Perfektion zu finden war.«
»Maaark, Maaark«, lachte der Phönix, »Du sprichst wahr. Aber wenn du an die Macht kommen würdest, dann könntest du diese Welt zur Perfektion führen, nicht wahr?«
Die junge Frau dachte lange nach und ihre Augen wurden traurig. »Nein, das könnte ich nicht«, flüsterte sie mit brüchiger Stimme. »Diese Welt hat zu lange der Perfektion nachgestrebt. Ich könnte nicht, selbst wenn ich wollte.« Erschöpft ließ sie den Kopf sinken.
Lange musterte der Phönix sie aus seinen glänzenden Augen. Irgendwann durchschnitt seine krächzende Stimme das Zimmer: »Prinzessin, schaut her. Ich möchte dir einen alten Freund vorstellen.«
Aus der Dunkelheit neben ihrem Bett hervor trat eine in schwarz gehüllte Gestalt, mit pechschwarzen Fingern.
»Schaut her, Prinzessin«, begann der Phönix erneut, »Du brauchst nur dem Gevatter folgen und er wird dich in dein ganz eigenes Königreich bringen, in dem du die Geschichten schreibst, wie du sie willst und nichts soll dich aufhalten können.«
Lange dachte die Frau nach, denn ihr war klar, dass es von dem Ort, an den sie gehen sollte, keine Wiederkehr geben würde. Andererseits wurde auch sie selbst älter. Es würde ohnehin geschehen. Auf diese Weise würde sie ihr eigenes Reich besitzen; die Welt nicht mehr bloß durch die papierenen Seiten von Büchern sehen. Sie grübelte, bis die Morgensonne ihr Zimmerfenster in violettes Licht tauchte. Schließlich – streckte sie Gevatter Tod ihre Hand hin. Schweigend schloss dieser sanft die Finger um die ihren.

Keine Stunde später stürmte der König in ihr Zimmer. Er hatte lange überlegt und war zu dem Schluss gekommen, dass seine jüngste Tochter fortan die Königin sein sollte. Er würde abdanken und ihr die Krone überlassen. Aber als er ihr Zimmer betrat, stockte ihm der Atem. Seine letzte verbliebene Tochter lag tot auf ihrem Bett, die Augen geschlossen, die Mundwinkel zu einem weichen Lächeln gezogen. Vor Schreck taumelte er rückwärts gegen eines der zahllosen Bücherregale. Er versuchte noch Halt zu finden, doch glitt weinend und keuchend daran hinab. Er war zu spät. Er war viel zu spät.
Neben ihn traten lautlos die schwarzen Stiefel von Gevatter Tod. Er bewegte sich langsam und geschmeidig, wie eine Katze und gemächlich ließ dieser sich neben dem König am Bücherregal herabsinken. Mit seinen leeren Augen blickte er auf die Tote.
Der König wurde zornig. »Bist du jetzt zufrieden?!«, spie er aus, »Selbst meine letzte Tochter hast du mir noch genommen und jetzt willst du mich verlachen!«
»Maaark«, krächzte es aus einer der Zimmerecken, »Gevatter Tod verlacht niemanden. Er ist wegen dir hier. Hast du nicht gehört, wie der Kummer schon längst an deinem Herz genagt hat? Es ist gebrochen. Du bist gebrochen.«
Der König wurde nur noch zorniger. »Niemals werde ich mich geschlagen geben! Ihr werdet mich niemals kriegen. Phönix: Unser Pakt ist noch nicht beendet.«
Der Phönix legte den Kopf schief. »Maaark, Maaark. Und womit willst du mich bezahlen? Deine Schatzkammern sind längst leer. Zu oft hast du das Spiel schon verloren.«
»Dann werde ich eben die Steuern erhöhen, dann habe ich das Gold.«
»Die Steuern hast du erst vor wenigen Wochen erhöht. Maaark, Maaark
»Die Menschen meines Landes gehören zu meinem Besitz und auf ihren Münzen prangt mein Gesicht. Nimm es dir und gib dich zufrieden!« Der König hatte sich in Rage geredet. »Was wären die Menschen schon ohne ihren König? Selbst ich habe Götter, denen ich dienen muss.«
Langsam nickte der Phönix. »Wie du meinst. Ich nehme mir, was mir zusteht. Aber schon bald wird sich zeigen, was deine Götter den Ungläubigen gelten.«
Ruhigen Mutes erhob sich Gevatter Tod und der Phönix ging in wild lodernden Flammen auf.
An jenem Abend verschwand beinahe alles Geld des Landes. Der König war zu verschwenderisch mit seinen Leben und dem Gold umgegangen, dass er nicht bemerkt hatte, wie viel ihm jede weitere Begegnung mit dem Tod gekostet hatte. Auf einen Schlag waren nicht bloß die königlichen Schatzkammern geleert – kaum jemand besaß mehr auch nur eine goldene Münze und wer es doch tat, wurde von seinen Nachbarn bezichtigt, sie des Nachts gestohlen zu haben.
Da die Leute keinerlei Gold mehr hatten, um sie den Göttern als Opfergabe darbieten zu können, entstand der Brauch, Wünsche für die Liebsten in kleine Holzplättchen zu ritzen und sie anstelle des Goldes als Opfer zu bringen. Und im Gegensatz zu den goldenen Gaben begannen die Wünsche allmählich, Wirklichkeit zu werden. Es ist ein Brauch, der aus der Not heraus entstanden ist. Aber irgendwann kam jemand auf die Idee, Verfluchungen und böse Wünsche darin einzuritzen – und auch die sind in Erfüllung gegangen. Man sagt, dass sie die betreffende Person nur anfassen muss und schon bewahrheitet sich alles darauf geschriebene. Wenn man aber nicht lesen kann, ist das ein enormes Risiko …
Während die Wut über die vermeintlichen Diebstähle wie ein Lauffeuer über das gesamte Land jagte, konnte der König nur hilflos mitansehen, wie all sein Schaffen vor seinen Augen in Flammen aufging, denn selbst er hatte keine Mittel mehr, um einzugreifen. Ohne Geld verloren viele Menschen alles. Besonders hart traf es diejenigen, die zuvor noch wohlhabend gewesen waren. Eines brachte das andere mit sich. Bedienstete verloren ihre Arbeit, Bauern konnten ihre Felder nicht mehr bestellen und kaum jemand fand mehr Anstellung. Nachdem sich erst der Pöbel untereinander halb totgeschlagen hatte, stürmte er schließlich den königlichen Palast.
An diesem Tag trat Gevatter Tod ein letztes Mal vor den König und reichte ihm seine Hand. Sein Gesicht zeigte keine Regung, so als hätte er schon lange geduldig auf diesen Moment gewartet und als hätte er noch immer alle Zeit der Welt. Geschlagen ließ der König den Kopf sinken, als der Gevatter seine Hand nach ihm ausstreckte. In weiter Ferne hörte er ein Krächzen wie ein Lachen.
»Maaark, Maaark«, ging es, als sich der Phönix in die Lüfte erhob, in dem Moment, da die letzte Flagge des Königreiches in Flammen aufloderte. »Mit deinem Tod wird auch dein ganzes Reich untergehen. Maaark, Maaark

Was aus dem König geworden ist, weiß niemand. Lediglich die Geschichte seiner jüngsten Tochter ist überliefert, wenn auch niemand zu sagen vermag, wer dafür verantwortlich ist: Sie erdachte sich ihre ganz eigene Welt, die ihrer ursprünglichen nicht unähnlich war. Sie übernahm die Menschen, die Tiere und Pflanzen; Flüsse, Seen und Berge. Ihre Welt war eine nahezu perfekte Kopie ihrer alten, mit nur einem kleinen Makel – der König, ihr Vater, hatte nie existieren dürfen. Ihrem Universum fehlte es lediglich ein wenig an Perfektion – das machte es vollkommen. 

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